Verein

Der Verein für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark (gegründet 1996 als Verein Männerberatung Graz) ist eine nicht parteipolitisch und nicht konfessionell ausgerichtete Non-Profit- Organisation.

Als Rechtsträger betreibt der gemeinnützige Verein für Männer- und Geschlechterthemen die Fachstelle für Burschenarbeit, das Institut für Männer- und Geschlechterforschung, Männerberatungsstellen/Fachstellen für Gewaltarbeit in der Steiermark und im Burgenland, weiters die Fachstelle für Männergesundheit Steiermark, das  Männerkaffee Graz,  in Kooperation mit dem Verein Frauenservice Graz die GenderWerkstätte, in Kooperation mit mehreren österreichischen Männerberatungen die MÄNNERINFO-Krisenhelpline 24/7 und weitere Bildungsangebote.

Die Vereinsvorstände sind Elli Scambor, Michael M. Kurzmann, Jürgen Hochsam und Manfred Kummer.

Das Geschäftsleitungsteam bilden Jürgen Hochsam (Struktur), Manfred Kummer (Männerberatung), Christian Scambor (Gewaltarbeit), Elli Scambor (Forschung und Bildung) und Michael M. Kurzmann (Burschenarbeit).

Als unseren Auftrag verstehen wir es, zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft in Richtung Vielfalt, Gerechtigkeit, Gleichstellung der Geschlechter und Gesundheit beizutragen, indem wir uns unterstützend mit Männern und männlichen Jugendlichen im Geschlechtersystem auseinandersetzen.

Die „kritische“ Perspektive

Wir orientieren uns seit der Gründung an den Arbeiten im Bereich der „kritischen Männerforschung“. Der Begriff „kritisch“ meint die Hinterfragung von bestehenden Rollenbildern und Geschlechterverhältnissen. Seit den 1980ern hat sich eine kritische Männerforschung aus verschiedenen Strömungen der Frauen- und Geschlechterforschung entwickelt, Frauen- und Schwulenbewegungen haben Impulse gegeben. Das Gemeinsame ist die Hinterfragung der jeweiligen Geschlechterordnungen. Die kritische Männerforschung hat Konzepte aus den jeweiligen Strömungen aufgegriffen und mit ihnen weitergearbeitet.

Der „Klassiker“ der kritischen Männerforschung ist wohl das 1995 erschienene Buch „Masculinities“ („Der gemachte Mann“; 3. Aufl. 2006) von R. W. Connell. In diesem Buch führt Connell ein einflussreiches Konzept aus, jenes der „hegemonialen Männlichkeit“. Kurz zusammengefasst sind wichtige Aspekte in diesem Konzept:

  • Es wird von sozialer Praxis ausgegangen, also davon, was Männer tun; ein bestimmtes „Praxis-Muster“ kann als Männlichkeit gesehen werden.
  • Es gibt nicht nur eine Männlichkeit, sondern viele verschiedene Männlichkeiten
  • Es gibt in einer Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit jeweils eine Form der Männlichkeit, die dominiert
  • Die „Herrschaft“ dieser Männlichkeit wird durch die „Beherrschten“ mitgetragen (=Konzept der „Hegemonie“), daher die Bezeichnung „hegemoniale Männlichkeit“ für die dominierende Form
  • Hegemoniale Männlichkeit ist historisch wandelbar.

„Geschlecht“ ist mit weiteren Dimensionen von sozialer Unterschiedlichkeit und Hierarchie verknüpft (Klasse, Milieu, ethnischer Hintergrund, Generation, sexuelle Orientierung, Berufsgruppe, Religion, ...). Durch die Kombination dieser Dimensionen lassen sich viele verschiedene Männlichkeiten (und Weiblichkeiten) denken.

„Männlichkeiten“ stehen in einem hierarchischen Verhältnis zueinander. Die hegemoniale Männlichkeit ist allen anderen Männlichkeiten übergeordnet. Beziehungsformen zwischen den unterschiedlichen Männlichkeiten sind:

  • Unterordnung z.B.: untergeordnete Männlichkeiten: homosexuelle Männer; „Meister/Geselle - Lehrling“
  • Marginalisierung z.B.: „Inländer – Ausländer“
  • Komplizentum: Männer, die untergeordneten Männlichkeiten zuordenbar sind, stützen das hegemoniale Männlichkeitsmuster, um an den (materiellen und symbolischen) Vorteilen der hierarchischen Geschlechterordnung (d.h. an der „patriarchalen Dividende“) teilzuhaben. Die Hauptvorteile bestehen im Dominanzverhältnis gegenüber Frauen und gegenüber noch weiter untergeordneten Männlichkeiten.

Komplementär zur „hegemonialen Männlichkeit“ beschreibt Connell das Konzept der „betonten/angepassten Weiblichkeit“ („emphasized femininity“). Meuser (2000) fasst dieses Konzept wie folgt zusammen: Betonte Weiblichkeit „... beruht auf einem Einverständnis mit der eigenen Unterordnung und auf einer Orientierung an den Interessen und Wünschen des Mannes.“ (Meuser, 2000, S. 71). So können z.B. Frauen in hohen Positionen in einer Organisation mehr Macht haben als Männer, aber nicht wegen, sondern trotz ihres Geschlechts (und der Hierarchie). Solche Zusammenhänge können auch ein Interesse von Frauen erzeugen, hegemoniale Verhältnisse zu stützen.

Die derzeitig in unserer Gesellschaft (noch) dominante Form ist die „marketplace masculinity“, die im Bild des Geschäftsmannes ihren Ausdruck findet (wichtige Elemente: Konkurrenz; Rationalität; kalkulierend...). Diese Form hat sich im Zuge der Industrialisierung und kapitalistischen Produktion herausgebildet und die vorher herrschende Form der „Adeligen Maskulinität“ abgelöst („Gentry masculinity“, gekennzeichnet durch Ehrenkodex, Duelle, Landbesitz ...). Als wichtigster, der Marketplace-Männlichkeit untergeordneter Männlichkeitstypus kann die „working class masculinity“ („Arbeiterklassen-Männlichkeit“) angesehen werden. Angepasste Weiblichkeiten können jeweils zur hegemonialen Männlichkeit konzipiert werden, z.B. die bürgerliche Frau und Mutter mit Orientierung auf Haus und Reproduktion als Gegenstück zum Geschäftsmann.

Die nunmehr neu entstehende hegemoniale Männlichkeit wird „Unternehmer-Männlichkeit“ genannt, eine Art männliche Ich-AG mit antisozialen Zügen (egozentrisch, hoch gebildet, trendy, ortsungebunden, keine Einbindung in Reproduktion, generell wenige Bindungen, wenig Verantwortungsgefühl...).

Wichtige Kritikpunkte am Modell der hegemonialen Männlichkeit:

  • Der Begriff der „Männlichkeiten“ bleibt etwas unklar definiert; wann ist ein Praxis-Muster eine Männlichkeit? Gibt es fast so viele davon wie Männer?
  • Es wurde kritisiert, dass Beziehungen zwischen Männern sich nicht in Dominanz, Unterordnung, Marginalisierung, Komplizentum erschöpfen. Es gibt auch positiv formulierbare Formen (Solidarität, Freundschaft, Liebe). Connells ursprüngliches Konzept ist eher aus der Perspektive der hegemonialen Männlichkeit „nach unten hin“ gedacht.
  • Das Modell beschreibt gut strukturelle Verhältnisse (z.B. in Organisationen); auf der Ebene der Einzelpersonen sieht Connell großes Potential für Veränderung, allerdings ist die Verbindung zwischen struktureller und individueller Ebene nicht ganz klar.
  • „Das Connellsche Konzept kann ... im Grunde nur die Seite der Dominanz von Männlichkeit, nicht aber die Seite der männlichen Verfügbarkeit, der abhängigen Verstrickung des Mannes in den industriekapitalistischen Verwertungsprozess aufschließen. Damit gerät das Hegemonialkonzept in Gefahr, selbst zum Verdeckungszusammenhang zu werden, in dem dann Fragen struktureller Gewalt, unter der Männer leiden, nicht mehr thematisiert werden können.“ (Böhnisch, 2004, S. 35)

Trotz berechtigter Kritikpunkte ist Connells Konzept bis heute nützlich und einflussreich, besonders, um Strukturen in Organisationen zu analysieren. Connell hat auf der individuellen Ebene ein Projekt der sozialen Gerechtigkeit eingefordert, bei dem über Geschlechtergrenzen hinweg Allianzen entstehen können (z.B. gemeinsame Interessen von Vätern und Müttern gegenüber einer Organisation). Auch positiv formulierte Ziele wie Geschlechtermultikulturalismus und Vielfalt können von Connell übernommen werden.